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Kapitel 470618 Himmelsgaben, Buch 2

Bergwanderung – 18. Juni 1847

1. Viele Täler durchwanderte ein Freund der Schöpfung und fand da nicht selten recht sonderlich schöne Gegenden und gar manche reizende Partien. Die schönsten jedoch waren für ihn jene, die mit Seen geschmückt waren oder mit ziemlich ansehnlichen Bächen oder Flüssen, und die daneben auch mit hohen Bergen umfasst waren. Ganz große Flachländer gefielen dem Wanderer nicht, wie auch jene Gegenden nicht, deren Boden mit großen Städten bedeckt war.

2. So sehr es aber unseren Wanderer gar oft gelüstete, auf einen oder den anderen hohen Berg zu steigen und von seinen Zinnen einmal eine großartigste Aussicht zu genießen, so konnte er aber dennoch nie den Mut dazu gewinnen, sich auf irgendeine bedeutende Höhe hinaufzuschwingen. Denn bald glaubte er, es würden ihm seine Füße den Dienst dazu versagen, bald wieder fand er keine nach seiner Idee verlässlichen Führer, bald wieder war ihm die Unbeständigkeit des Wetters auf solchen Höhen ein sehr bedenkliches Hindernis, bald steile, ungebahnte Wege, bald die breiten und dichten Wälder, die gewöhnlich schon am Fuße solcher Alpen beginnen und nicht selten über 5-6000 Fuß hinaufgehen – und dergleichen Hindernisse mehr.

3. Einmal jedoch, als er in eine kleine, aber sehr niedliche Ortschaft kam, die gerade am Fuße einer gar schönen und sehr hohen Alpe lag, und eine gar schöne Witterung ihm sehr günstig zu sein schien, bekam er eine gar mächtige Lustanwandlung, mit gewählten und gar wohlerfahrenen Führern diese Alpe zu besteigen, um doch endlich auf seinen vielen Reisen einmal zu jenem vielgepriesenen, wahrhaftigen Hochgenuss zu gelangen, der sich den Bergbesteigern auf eine unbeschreibliche Weise in stets überschwänglicher Fülle darbietet – was aber natürlich unser Wanderer nur vom sogenannten Hörensagen und aus manchen gelesenen Gebirgsreiseskizzen kannte.

4. Fest ward also der Entschluss gefasst, koste es nun, was es wolle, nimmer solle nun diese Vornahme durch was immer für eine möglich vorkommende Kalamität als aufgegeben und unausführbar betrachtet sein! – „Also, frisch auf!“, sprach der Wanderer. „Bald, bald, du stolze Spitze, sollst du von meinem schwachen Fuß gedemütigt werden! Ein Sterblicher wird dich, einer Ewigkeit trotzen Wollende, überragen und von dir in weite Fernen hinausschauen und einen Anblick genießen, der dir viele Jahrtausende deines stolzen Daseins hindurch versagt war und fürder versagt bleiben wird!“

5. Die Bergführer standen bereit, mit allem Nötigen versehen. Der Wanderer überließ sich ganz ihrer Leitung, und so ward die Bergreise mutig angetreten. Die erste Stunde ging es gut; denn da war noch recht viel Abwechslung, bald eine Bergkeusche, bald eine Herde mit ihrem Hirten und bald eine Wiese, die ein Bächlein gar behände durchrieselte. Aber nun begann der Wald, anfangs nur spärlich aussehend; je höher hinauf aber ein stets steiler und rauer werdender Weg unsere Gesellschaft führte, desto dichter auch wurde der Wald und desto mehr wurde er von nicht selten nahezu undurchdringlichem Gestrüpp durchzogen.

6. Drei Stunden hatten die Wanderer mit der Besteigung des Berges bloß durch den Wald zugebracht, und noch wollte er kein Ende nehmen. Da fragte der Wanderer die Führer, wie lange wohl der Wald noch dauern werde. Und diese sprachen: „Noch ein paar Stunden Weges!“ – Da ward der Wanderer unwillig und sprach: „Das ist ja entsetzlich! Wahrlich, so der überaus beschwerliche Wald noch ein paar Stunden dauern sollte, da kehre ich lieber um und will unten im Tal einen förmlichen Eid ablegen, mit diesem höchst ermüdenden Versuch für alle meine Lebzeiten jede künftige Bergbesteigungslust auf das Vollkommenste abgekühlt zu haben!“

7. Aber die Führer sagten: „Freund, das tun Sie ja nicht! Wir sind nun dem Ziel, das wir hier verfolgen, näher, als Sie glauben! Daher wäre es sehr unmännlich, nun umzukehren ob dieser kleinen Strecke Waldes. Machen wir uns daher nur recht mutig wieder auf den Weg, und bald werden wir auf die freien Alpentriften gelangen, wo jeder Schritt von neuen Wundern gewürzt sein wird!“

8. Diese Rede gefiel dem Wanderer, und er setzte mit seinen Führern den Weg durch den noch übrigen Wald mutig fort. Nun ward der Wald dünner, die Bäume wurden klein und verkrümmt, und schon wurden hie und da die weitgedehnten blassgrünen Alpenmatten, glitzerndes Steingeröll und vermoderte übereinanderliegende Urbaumstämme ersichtlich. Endlich ward auch der letzte Rest des Waldes hinter den Rücken gelegt, und die Gesellschaft gelangte auf die ganz freien Alpentriften und nahm da Rast und einige Stärkung für die noch allerbeschwerlichste weitere Besteigung der höchsten Spitze.

9. Man rastete bei einer halben Stunde, erhob sich dann und wollte weiter aufwärtsziehen; aber siehe, da kam – was auf derlei Höhen nichts Ungewöhnliches ist – plötzlich ein heftiger Wind, und die höchste Kuppe wurde von dichtem Gewölk umlagert. Da machten die Führer bedenkliche Mienen, und der Wanderer verwünschte jeden Gedanken, der ihn dazu bewogen hatte, diesen Berg ersteigen zu wollen; denn die schon sehr schöne Aussicht von den hohen, freien Alpentriften war ihm durchaus zu wenig Lohn für seine große Mühe. Da der Wind aber stets heftiger ward und die Nebel tiefer und tiefer herabfielen, da beschloss die Gesellschaft, den Weg von der Alpe auch so schleunig als möglich wieder zurückzumachen, um einem sicheren Hochgewitter zu entgehen.

10. Schnellen Schrittes ging es nun abwärts, und das Tal ward in der halben Zeit erreicht, welche die Gesellschaft zur Ersteigung dieser Alpe brauchte. Als sie alle, die Führer und der Wanderer, wieder in der Ortschaft ankamen, siehe, da kam ein anderer Wind, und alle Bergspitzen standen wieder kristallrein vor den Augen der müden Wanderer.

11. Da bereute es auch unser Wanderer, dass er sich von einem kleinen Wetter hatte einschüchtern und entmutigen lassen und beschloss, bei einer künftigen ähnlichen Gelegenheit klüger und ausdauernder zu sein.

12. Ein alter Mann aber, der gehört hatte, wie der Wanderer vor dem Abmarsch gar stolz den Berg angeredet hatte, sagte zu ihm: „Wenn du wieder einen Berg besteigen willst, so musst du dich vorher recht klein, aber nicht recht groß machen; denn siehe, jede Höhe ist rein und geheiligt! Daher will sie auch in der Demut und nie im Hochmut erstiegen sein. Wehe aber dem, der sie im Hochmut ersteigt; der wird einen mächtigen Fall tun und wird sich zerschellen, und sein Fleisch wird hängenbleiben an den schroffen Spitzen emporragender Felsen!

13. Wenn du aber ein rechter Wanderer sein willst, dann lass dich fürder nicht abschrecken von den Höhen und besteige sie sattsam, so wirst du erst recht innewerden, wie herrlich, groß und mächtig Der sein muss, dem es ein Leichtes war, eine so große und herrliche Erde bloß durch Sein ‚Werde‘ hervorzurufen! Es sind wohl die Täler, die du schon überhäufig bereist hast, auch demselben allmächtigen ‚Werde‘ entsprossen, aber es ist dennoch ein großer Unterschied zwischen ihnen und den Bergen. Die Aussicht in dem Tal ist beschränkt und eingeengt, auf den Bergen aber frei und oft unübersehbar. Es gleicht das Tal einem ganz gewöhnlichen Menschen, der außer den natürlichen Bedürfnissen keine höheren kennt; die Berge aber sind daneben gleich einem Weisen, der über alle die weltlichen Bedürfnisse erhaben sein Herz und Haupt hoch emporhebt und seine Augen nur dorthin richtet, wo er die großen heiligen Denkmäler Dessen erschaut, den sein Herz so ehrfurchtsvoll und dabei aber doch auch ebenso heilig kindlich froh „Lieber, heiliger Vater!“ nennt.

14. Siehe, du mein lieber Freund, also reise du, und also besteige du gerne die Berge, dann werden dir deine Reisen einen großen Gewinn für dein Leben bringen zeitlich und – verstehe – dadurch auch ewig! Denn wir alle sind Wanderer und wandern von der Wiege bis zum Grabe manchen beschwerlichen Weg. Da geht es manchmal steil, holpericht, manchmal wie auf dem Glatteis. Die meisten Lebenswanderer gleichen dir und bleiben lieber in den Tälern ihres Tierwesens, als dass sie sich einmal die Mühe nähmen, einen Berg zu besteigen, um da wenigstens die Aussicht zu einem wahren Menschen zu bekommen. Also aber soll es nicht sein!

15. Wir sollen wohl in den Tälern der Demut wohnen; aber darin sollen wir nicht vergessen, dass die Berge der freien Gott- und Menschenerkenntnis zu besteigen sind – was von Gott Selbst vorgeschrieben ist!“

16. Dessen gar wohl eingedenk ging unser Wanderer seinen Weg weiter, fand die Worte des alten Dorfweisen richtig und nachahmungswert und – fand das Leben!

17. Wollet ihr es auch finden, so folgt seinem Beispiel! Amen.

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