Kapitel 244 | Großes Evangelium Johannes, Buch 6 |
244. — Vom Richten und Strafen 1. Sagte nun der Schriftgelehrte: „Herr und Meister, ich sehe nun schon, daß Du allein höchst gut und wahrhaftig bist, und es ist schon am besten, sich also zu verhalten und also zu glauben und zu reden, wie Du nun alles das von unten bis oben gezeigt hast! Nur mit der Aufhebung der Todesstrafe kann ich mich noch nicht ganz zurechtfinden; denn wenn auf das Leben eines Menschen nicht wieder das Leben eines Mörders gesetzt wäre, so wäre ja gar bald kein Mensch mehr seines Lebens sicher. Nur die sichere Todesstrafe hält viele von den allergrößten Greueltaten ab!“ 2. Sagte Ich: „Ja, das ist wieder so deine Meinung, doch Meine Meinung ist da eine ganz andere! Ein Tiger gebiert den andern, ebenso ein Löwe, ein Panther und eine Hyäne ihresgleichen. 3. So irgendein roher, ganz tierisch verwahrloster Mensch, von seinen bestialischen Leidenschaften getrieben, einen Menschen erschlägt, so hätte der Erschlagene das eigentliche Recht, seinen Totschläger wieder zu erschlagen; ein Dritter aber, dem der Totschläger nie etwas zuleide getan hat, hat eigentlich gar kein Recht, sich an Stelle des Erschlagenen an dessen Mörder zu rächen. Doch da ein solcher Tiermensch auch für andere Menschen gefährlich werden kann, so kann auf ihn Jagd gemacht werden. Ist man seiner habhaft geworden, dann bringe man ihn entweder in ein gutes Gewahrsam, gebe ihm einen Unterricht und versuche, aus ihm einen Menschen zu machen! Ist das gelungen, so habt ihr aus einem Teufel einen Menschen gemacht, wofür ihr mehr des wahren Lebenslohnes in euch zu erwarten haben werdet, als so ihr den Mörder getötet hättet. Das wäre sonach eines, das allerbestens mit einem Mörder zu tun wäre. 4. Oder in einem andern Falle, wenn der Mörder ein zu berüchtigter und ganz eingefleischter Teufel wäre, so machet auch Jagd auf ihn; und habt ihr ihn gefangen, so fraget ihn um den Grund, warum er solche Greueltaten verübt habe, und ob er solche nicht bereue! Redet er die Wahrheit, so tut, wie Ich ehedem gesagt habe; leugnet er aber die Tat und gibt euch auf eure Reden kein gehöriges Wort, obwohl ihr überzeugt seid, daß er der Bösewicht ist, dann sorget dafür, daß er fürderhin für die menschliche Gesellschaft unschädlich werde, doch nicht durch seinen Tod, sondern entweder durch ein stärkstes Gefängnis, durch die Blendung seiner Augen oder durch eine Verbannung in eine derartige ferne Gegend irgend am Meere, von wo für ihn keine Rückkunft mehr denkbar möglich ist. 5. Das ist so Mein Rat, wie ihr euch auch in solch einem Falle als Meine wahren Jünger zu benehmen haben sollet. Ihr könnet bessern und reinigen eure Gemeinde von Übeltätern; aber kein Gericht sollet ihr halten! Denn wer da richtet, der wird dereinst auch von Mir gerichtet werden. Wer aber nicht richtet, der wird auch von Mir nicht gerichtet werden. So ihr die Sünder an euch verflucht und verdammt, so werdet ihr dereinst von Mir dasselbe zu erwarten haben; so ihr aber wandelt nach Meiner Lehre, so werdet ihr auch nicht verdammt und verflucht werden. 6. Ihr sollet zu euren Brüdern nicht einmal ,Raka‘ [ein hinterhältiger oder rückgängiger (tückischer) Mensch. (J.L.)] sagen; denn dadurch machet ihr euch schon eines Gerichtes schuldig, weil ihr, so ihr das ernst meintet, über einen Bruder ein Urteil gefällt habt. Noch weniger sollet ihr zu einem wenn auch noch so blöden Bruder im Ernste sagen, daß er ein Narr sei; denn seid ihr weiser als er, so seid ihr das aus Gottes Gnade. Seid ihr aber darob stolz geworden, und geschieht es, daß ihr euch des Blöden schämet, nicht mit ihm reden wollet und saget: ,Wer kann mit einem Narren reden?‘, so rührt ein solches Urteil schon aus dem Keime der Hölle in euch her, und ihr machet euch des höllischen Feuers (Eifers) schuldig. Es ist aber nicht fein, wenn in Meinen wahren Jüngern auch nur Fünklein der Hölle durch solchen falschen Eifer angefacht werden; denn auch aus dem kleinsten Funken kann ein großer Brand entstehen. 7. In der Hölle ist der Hochmutsbrand am höchsten, und im Himmel leuchtet nur das Licht der höchsten Demut und Bescheidenheit, und das sanfte Feuer der Liebe erwärmt und belebt alles. – Verstehest du solches?“ |
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